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Fixid Gear ist die Speerspitze einer ganz speziellen Gattung Fahrrad. Dem Eingang-Rad. Wesentliche Merkmale sind eine feste Übersetzung ohne Schaltung. Vorne ein Kettenblatt und hinten ein Ritzel. Im besten Fall hat man Bremsen, andernfalls kann man via „skidden“ verzögern / bremsen. Doch warum nicht einfach die gleiche technische Leichtigkeit wie ein Singlespeed (wie ein Fixie, aber mit Freilauf) – aber mit zwei Gängen? Eine uralte Nabenschaltung macht das möglich. Ganz ohne Schalthebel.

Das Kickshift Duo-Speed ist ein kleines Projekt, welches ich vor einigen Jahren aufgebaut hatte. Ich zeige euch was es mit dieser Schaltung auf sich hat. Und warum es noch besser als ein Singlespeed oder Fixie ist. Aber… es hat auch Nachteile. Fangen wir mit den Basics an.

Die Geschichte der Schaltung

Bis zur modernen Kettenschaltung hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis sich aus all den „interessanten“ Ideen eine Lösung als wirklich praktikabel herauskristallisiert hatte. Heute sind nur noch Naben- und Kettenschaltungen bekannt. Doch das war vor knapp 100 Jahren ganz anders.

Die ersten Tour de France Bergetappen kamen erst später nach der Erfindung des Radrennens hinzu. Es war einst undenkbar, dass ein Rad auch mit höherer Geschwindigkeit bergauf fahren konnte. Echte Männer tragen ihr Rad hoch – so der Erfinder des legendären Etappenrennens.

I still feel that variable gears are only for people over forty-five. Isn’t it better to triumph by the strength of your muscles than by the artifice of a derailleur? We are getting soft. Come on, fellows. Let’s say that the test was a fine demonstration–for our grandparents! As for me, give me a fixed gear!

Henri desrange – Urvater der tour de france

Kuriose Erfindungen machten sich im Peloton aber schnell breit. Wieso auch keine technischen Hilfsmittel nutzen um effizienter zu pedallieren. Der einfachste Weg war schon immer die zweiseitige Nabe. Rad ausbauen und umdrehen, schon hatte man ein anderes Ritzel als Berg-Gang. Urbane Hipster kopieren dies heute noch gerne (eine Seite fixed, die andere Freilauf) auch bekannt als Flip-Flop-Nabe. Diese Methode hielt sich mehrere Jahrzehnte. Daneben gab es aber auch Ideen, um einen Freilauf in beide Richtungen zu installieren. Die Kette lief mit einer 8 über mehrere Umlenkrollen. Kurbelte man vorwärts (im Uhrzeigersinn) so hatte man den schnellen Gang. Umgekehrt konnte man aber auch Rückwärts treten um eine leichtere Übersetzung für den Berg zu aktivieren.

Bildquelle – Host: http://bikeretrogrouch.blogspot.com/2014/09/retro-direct.html

Diese abgedrehte Schaltung war nur eine Stilblüte der verschiedenen Erleichterungen für steile Anstiege. Genauso lange gibt es aber schon das Planetengetriebe, auch bekannt als Nabenschaltung. Diese haben sich bis heute gehalten – auch Hersteller gibt es noch von damals. Welche unter anderem auch heute noch die Duo-Kickshift Zweigangnabe produzieren.

Sturmey Archer – Kickshift

Über 100 Jahre entwickelt das britische Unternehmen Sturmey Archer Nabenschaltungen (seit knapp 20 Jahren im Besitz einer Holding aus Taiwan). Wann die erste Zweigang-Schaltung als Kickshift etabliert wurde ist mir nicht bekannt. Jedoch ist das Prinzip dahinter entsprechend alt und bis heute kaum verändert. Es fristet aber sein Nischendasein. Für Puristen zu viele Gänge, für alle anderen Radfahrer zu wenige.

Wenn man aber darüber nachdenkt, werden hier mehrere Dinge gut vereint. Das Rad folgt dem Singlespeed-Prinzip. Man hat ein puristisches Rad, ganz ohne Schalthebel und einer massiv reduzierten Komplexität. Gleichzeitig hat man einen Gang für höhere Geschwindigkeiten, kommt an der Ampel aber auch schneller vom Fleck. Zudem ist der Kick zum Schalten ein cooler Move – es fühlt sich cool an. Wenn es jemand beobachten würde – eher nicht.

Bonus-Feature: Der Freilauf im hohen Gang ist sehr sehr laut. Das Klickern funktioniert dann wie eine Klingel. Und das laute Klickern – das wollen wir doch alle.

Aber wie praktikabel ist diese Schaltung wirklich? Ich hab das Rad vor knapp 5 Jahren aufgebaut. Und kann ein paar Geschichten dazu erzählen.

Zweigang Kickshift Nabe im Einsatz

In der Praxis funktioniert die Nabe ausgezeichnet, nun etwas mehr als 5 Jahre im Einsatz. Dabei war ein Defekt aufgetreten, der sich aber als falsche Installation herausstellte. Ich hatte aus versehen vorne ein Bio-Pace Kettenblatt verbaut (ovales Blatt), welches mit einer festen Kettenlänge gar nicht vereinbar ist. Dadurch hatte sich die Nabe etwas verschoben, aber das konnte in der Fachwerkstatt schnell behoben werden. Ansonsten bis heute Tadellos. Auch eine längere Pause von ca 3 Jahren, aufgehangen gelagert, hat die Nabe gut überstanden. Nun aber auf die Straße.

Beim Fahren funktioniert die Nabe genau so, wie man es sich vorstellt. Wenn man kurz die Kurbeln rückwärts schnalzt, dann springt die Nabe zwischen den beiden Gängen. Daraus ergeben sich ein paar Herausforderungen.

Ungewolltes Schalten: Wenn man im Leerlauf rollt, kann es schnell passieren, dass der Gang wechselt ohne es zu merken. Das kommt, weil die Nabe sehr empfindlich auf den Rücktritt reagiert. Ist aber kein größeres Problem, weil man mit einem kleinen Trick während der Fahrt den Gang bestimmen kann.

Gangbestimmung: Während man im Freilauf rollt kann man anhand des Klick-Geräusches genau sagen, welcher Gang gerade drin ist. Lautes Klicken: schneller Gang; kein Klicken: langsamer Gang. Daran gewöhnt man sich sehr schnell. Man kann auch im Freilauf kurz hochschalten, die Passanten hören mich dann sofort. Dann noch Mal klicken und das Klicken ist weg. Schon braucht man auch keine Klingel mehr.

Gangbestimmung (während der Fahrt): Nun wird es komplizierter. Eine der größeren Herausforderungen ist häufig während der Fahrt zu sagen, in welchem Gang man ist. Klingt doof, ist aber so. Der Unterschied zwischen „leicht“ und „schwer“ ist stark bemerkbar, jedoch ist das eigene Gefühl für die Kraft trügerisch. Denn die Faktoren Steigung, Gegenwind, Kadenz, bestehende Geschwindigkeit und Beschleunigung spielen alle eine Rolle. In diesem Gemengelage wird es unheimlich schwer genau zu sagen, wo man gerade steht. Bergauf kann man schon Mal drauf reinfallen: „oh, das geht grad erstaunlich schwer – ich schalt mal runter“ – zack, gehts plötzlich noch schwerer.
Auch nach vielen Jahren passiert es, dass man die aktuelle Lage in 20% der Fälle nicht richtig bewerten kann.

Anfahren: Die Königsdisziplin der Schaltung, wenn man an der Ampel steht. Diese Situation möchte man mit Singlespeed und Fixie immer vermeiden, denn dann ist die große Übersetzung für hohe Endgeschwindigkeiten massiv lästig. Hier sollte die Zweigang-Kickshift gerade glänzen, und doch versagt sie. Denn in genau diesen Situationen passiert es, dass die Schaltung ungewollt springt. Und im Stand oder langsamen Fahrt kann man nie mit Sicherheit sagen welcher Gang gerade drin ist. Noch Mal schalten? Ja? Nein? Losfahren: falsch. Etwa nur 75% aller Anfahrten bekomme ich perfekt hin. Häufig genug liege ich falsch.

Zuverlässigkeit: Ist ein Gang erst Mal drin und kurbelt man vor sich hin, dann ist alles gut. Noch kein Mal ist unerwartet der Gang gesprungen oder ähnliches. Jedoch besteht manchmal die Gefahr, dass man im Freilauf über einen Bordstein fährt und die Kette schwingt. Dies kann schon Mal ausreichend sein und der Gang springt ungewollt. Dem wirkt man aber meist entgegen indem man in solchen Momenten die Kette leicht anspannt, indem man minimal nach vorne tritt. Ein Move den man auch schnell lernt.

Fazit: Insgesamt war ich selten unzufrieden über die Kickshift-Nabe. Klar, sie kann mal nervig sein oder man liegt mal falsch. Aber diese kleinen Tücken kann ich der Nabe verzeihen. Generell ist meine Tendenz positiv.

Technische Aspekte

Prinzipiell ist die Technik der Zweigang-Nabe super einfach. Man hat ein Übersetzungsverhältnis von 1 und 1,38. Die genaue Entfaltung, Geschwindigkeit (inkl. Kadenz) und Übersetzung kann man sich dann entsprechend aussuchen und ausrechnen. Hier ein paar Beispiele.

Nehmen wir ein 50er Kettenblatt vorne und ein 20er Ritzel hinten. Das ergibt ein Übersetzungsverhältnis von 2,5 (Umdrehungen der Kurbel zu Umdrehungen des hinteren Laufrads). Mit einem Kick schaltet die Nabe dann in den zweiten Gang mit zusätzlichen 38% – welches ergibt:

2,5*1,38 = 3,45

Die Sprung zwischen den beiden Gängen ist deutlich größer. Ein üblicher Sprung in einer Kettenschaltung entspricht in der Regel 10-14%. Somit überspringen wir mit der Kickshift gleich zwei Gänge. Die Reichweite ist also nicht zu unterschätzen.

Empfehlenswert ist hier, wenn man eine möglichst niedrige Ausgangsübersetzung hat, wie zB. 2,5 oder niedriger. Damit kann man gut Losfahren oder auch kleinere Hügel hoch kommen. Der Sprung zum nächsten Gang holt ordentlich was raus.

Die gesamte Reichweite der Schaltung kann man mit einer 11-Gang Shimano 105 2-fach Gruppe gut vergleichen. In rot habe ich die Übersetzung der Sturmey-Archer mit 48×18 und 48×13 aufgezeigt, was in etwa dem Sprung von 1,38 entspricht.

Erstaunlich ist, dass bei einer Kadenz von 70 Umdrehungen man immer noch bei 24km/h liegt (im leichten Gang). Bei 100 Umdrehungen im höchsten Gang ist man schon bei fast 48km/h.

Im Großen und Ganzen ist die gesamte Reichweite schon ganz gut und eben sehr lang gestreckt, wodurch man eine passable Abdeckung erreicht.

Sonstige technische Daten:

  • Gewicht Nabe: 1.490g
  • Gewicht Laufrad (HR): 2.100g
  • Speichen: 32 oder 36

Der Einbau klappt denkbar leicht. Die Kettenlinie lies sich gut einstellen, wobei man praktisch keinen Spielraum an der Nabe hat.

Ein fertiges Laufrad mit Sturmey-Archer Nabe müsste man erst Mal finden. In der Regel ist es einfacher sich Felge, Speichen und Nabe zu bestellen und einspeichen zu lassen. So zumindest habe ich mein Laufrad konfiguriert.

Mein Gescheitertes Projekt

Den klassischen Stahlrahmen habe ich von Privat auf Kleinanzeigen erworben. Mein Idee war einen Rahmen neues Leben einzuhauchen. Der Rahmen kam mit Tretlager und Vorbau, jedoch fehlte der Rest. Wodurch ich leider nicht auf alle Details geachtet hatte. Was ich beim Kauf damals nämlich übersehen hatte, war leider verheerend für das Projekt. Die Gabel ist gar nicht fahrtüchtig. Sie ist direkt am Schaft stark verbogen.

Dieser Defekt ist über die Zeit stärker geworden, bis das Rad nach 1-2 Jahren unfahrbar wurde.

Hübsches Rad – jedoch nicht fahrbar.

Was hier auf den Bildern sofort ins Auge sticht (Aufgrund des Winkels sieht es aus, als würde das Rad das Unterrohr schon berühren) ist in der Realität nicht so gut zu sehen. Die Gabel fällt nach hinten ab, das Vorderrad berührt fast schon das Unterrohr. Was vermutlich ein Folgeschaden eines Auffahrunfalls ist, bei dem die Gabel sich nach innen verbogen hat.

Das macht sich im Fahrtest sofort bemerkbar. Das Rad ist völlig übersteuert – hypersensibel reagiert es auf jede Lenkbewegung. Es ist deswegen vor vielen Jahren aussortiert worden und hat lange auf seine Auferstehung gewartet.

Diese Wintersaison würde ich gerne das Rad wieder flott machen. Dazu habe ich zwei Optionen überlegt. Zuerst wird die Gabel erneuert… und dann:

a) Beim Kickshift-Singlespeed bleiben – 28er oder 30er Reifen drauf, dann rollt es sich gut durch die Stadt und Fahrradwege.

b) Ich rüste das Rad in einem Frankenstein-Build auf 650B Laufräder um. Mit speziellen Seitenzugbremsen sollte es eigentlich klappen – es wäre auch spannend darüber zu schreiben. Dann noch eine 6-fach oder 7-fach Schaltung mit Schalthebel am Unterrohr. Vorne weiterhin 1-fach. Dann wäre es ein Frankenstein-Randonneur.

Irgendwie reizt mich die Option b 😉

Was würdet ihr damit machen?

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